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OKEN als Naturforscher und Lehrer

von Peter Bertau


Vor nicht langer Zeit erwarb ich das dreibändige Werk "Okens Naturgeschichte für Schulen" aus dem Jahre 1821. Der erste Anblick machte stutzig, fast enttäuscht, denn das, was da vor mir lag, war nicht wie erwartet in Leder oder Halbleder gebunden wie die meisten Bücher aus der Zeit. Es sind Bücher in einfachster dünner Pappe, ohne irgendeinen Aufdruck. Die Seiten sind unbeschnitten, wie ausgefranst. Ein einziges Titelblatt muß für die drei Bände des Werkes reichen. Nie hatte ich so einfache alte Bücher gesehen. Sie passen aber zu Lorenz Oken, dem begeisterten, begeisternden und von sich überzeugten Lehrer, der mit solch einer einfachen Ausgabe möglichst viele Menschen erreichen wollte: "Da Schulen keine Bibliothek besitzen, noch weniger sich Prachtwerke anschaffen können..." Am Geld lag's also schon damals.

Etwa 10 Jahre später, Oken ist Professor in Zürich, beginnt er mit seinem Hauptwerk "Allgemeine Naturgeschichte für alle Stände" das er 1843 mit dem großen Bildatlas vollendet. Mit enormem Fleiß "...er habe keine Zeit, sich in andere Dinge zu mischen." hat Oken darin einen Großteil des Wissens seiner Zeit über Mineralien, Tiere und Pflanzen zusammengetragen. Er hat dieses 13-bändige Werk aber auch genutzt, einen Teil seiner Ansicht der Welt, seiner Naturphilosophie, den Lesern zu vermitteln. Dennoch, nur aus Idealismus, wie bei seiner Zeitschrift "Isis", die "ich...nur um der Ehre willen redigiere," hat Oken sich wohl nicht mit dieser enormen Arbeit belastet. In dem von M. Ruch kürzlich in Straßburg gefundenen Brief aus dem Jahr 1836 beklagt er sich, "...daß die Professoren mit den mäßigen Besoldungen in dem theuren Zürich kaum zur Hälfte auskommen und daher das übrige durch literarische Arbeiten erwerben müssen."

Oken war der letzte Gelehrte, der ein Monumentalwerk über die Natur, beginnend bei den Mineralien, endend beim Menschen, geschrieben hat. Nicht nur deshalb stimmt es etwas traurig, daß dieses großartige Werk nur noch in kleinen Expertenkreisen gewürdigt wird. Die Sprache seiner "Naturgeschichte" ist ausdrucksstark und Oken, der fleißige Sammler, erzählt darin auch viele Geschichten und wissenswerte Einzelheiten, die man heute in entsprechenden Büchern nicht mehr findet. Der von dem Lehrer Oken, dem die Bildung der Menschen sehr am Herzen lag, hier angewendete Sprachstil kann bereits als Schritt in Richtung Populärwissenschaft gedeutet werden.
In der "Naturgeschichte" fallen die von Oken erfundenen deutschen Sammelnamen auf, mit denen er Mineralien, Pflanzen und Tiere in von ihm erdachte Systeme ordnete. Die Artnamen selbst hat Oken nicht verändert, sondern erhalten. Wie in seinem Vogelband nachzulesen, hat er sich, wo es möglich war, bemüht, die in verschiedenen Gegenden existierenden Namen für eine Tierart zusammenzutragen. Das macht die Beschäftigung mit diesem Buch zu einem besonderen Vergnügen. Die Titelseite von Okens Vogelband ist auf Seite 26 dieser Schrift abgebildet.

Als im 17. und 18. Jahrhundert immer mehr Naturforscher die Welt bereisten, nahm auch die Zahl der Bücher über die Natur, über Pflanzen und Tiere, enorm zu. Besonders viele Werke erschienen in englischer und französischer Sprache. Sie wurden in ganz Europa gelesen. In Deutschland tat sich zu dieser Zeit nicht viel. Tier- und Pflanzenarten waren überwiegend lateinisch benannt, nur die bekanntesten Arten hatten deutsche Namen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzten immer mehr Bemühungen ein, lateinische Fachausdrücke und Namen in die jeweiligen Landessprachen zu übertragen. Während die Franzosen hauptsächlich das Lateinische in ihre Sprache abänderten, versuchte man im deutschen Sprachraum, den neugeschaffenen deutschen Fachbegriffen auch einen Sinn zu geben. Man sollte sich beim Lesen oder Hören etwas vorstellen können.

Auch Lorenz Oken trug, allerdings auf eigene Weise, zur Schaffung einer deutschen Namensgebung bei, mit der er aber weitgehend scheiterte. Hermann Krause schrieb in einer Arbeit über die deutsche zoologische Nomenklatur 1918:
"Wollen wir eine Erklärung für Okens klassifikatorische Namen finden, so müssen wir einen Augenblick bei seinen Einteilungsprinzipien verweilen... Für Oken ist (...) das Tierreich ein großer Tierkörper, und die einzelnen Tierkörper sind nur Teile desselben. "
Nach seinem Einteilungsprinzip erhält Oken zunächst "Geweidtiere, welche in ihrer Entwicklung beim ungeschiedenen Eingeweide stehengeblieben sind, Hauttiere, welche die Eingeweide mit Fell umgeben haben, diese sind entweder Felltiere oder Gliedertiere, und Fleischtiere oder Gesichtstiere, die eigentlichen tierigen Tiere."
Dazu paßt, was im 2. Band des "Lehrbuchs der Naturgeschichte" von 1815/16 zu finden ist. Oken teilt dort die Vögel so ein:

I.Ordnung: Quallenvögel (Meisen)
II.Ordnung: Lechvögel (Raben) (Leche = Schnecken u. a.)
III.Ordnung: Kerfvögel (Spechte)
IV.Ordnung: Fischvögel (Auken = Möwen, Enten u. a.)
V.Ordnung: Lurchvögel (Reiher)
VI.Ordnung: Vogelvögel (Hühner)
VII.Ordnung: Suckvögel (Trappen)

Die Vögel werden also verschiedenen Organisationshöhen zugeordnet, die den Entwicklungsstufen der großen Tiergruppen, von primitiv bis hochentwickelt, entsprechen.

Einige weitere Beispiele Okenscher Begriffskonstruktionen, die sich nicht durchsetzen konnten, seien genannt: llke für Marder, Focker für Reiher, Gauch für Kuckuck, Gaupe für Hühner, Neffe für Blattläuse, Bolke für Wirbeltiere, Wiere für Tintenfische oder Mile für Einzeller ("Infusorien"). Das nieder- und mitteldeutsche Wort Köter wurde von Oken als Oberbegriff für die Gattungen der Hunde und Katzen gebraucht. Es konnte sich genausowenig behaupten wie sein Vorschlag, Säugetiere Sucke zu nennen.
Einige Wortschöpfungen Okens haben sich aber bis heute gehalten und sind üblicher Sprachgebrauch geworden. Die Gegenfrage: "Was, das stammt von Oken?!" ist mir schon häufig gestellt worden: Kerfe für Insekten, Lurche für Frösche und Kröten, Echsen und Schleichen (aber nicht: Blindschleiche), Vieh, Nesthocker, Nestflüchter. Vögel benennt Oken mit uns geläufigen Begriffen: Fliegenschnäpper, Sänger, Würger...

Wenn man sich heute umhört, bekommt man auf die Frage nach Lorenz Oken kaum eine Antwort. Ganz anders verhält es sich mit der, allerdings meist älteren Literatur. Dort erfährt man, dass Oken ein bedeutender Naturphilosoph seiner Zeit war, ein hervorragender Lehrer und Naturforscher (vom Politiker einmal abgesehen). Der berühmte Gelehrte Ernst Haeckel (der "deutsche Darwin"), der von 1834 - 1919 lebte, nannte Oken den bedeutendsten deutschen Naturphilosophen überhaupt und erhebt ihn noch über Goethe.
Woran liegt es, daß man Oken heute nicht mehr kennt? Er war es doch, der jahrelang die weitbekannte Zeitschrift "Isis" herausgab; der gerade das größte Werk des 19. Jahrhunderts über Pflanzen und Tiere in deutscher Sprache veröffentlicht hatte; der in einem früheren Werk über die Zeugung wohl als erster erkannte, daß Eizelle und Spermium zu einer einzigen neuen Zelle verschmelzen, von der aus die Entwicklung zum fertigen Lebewesen ihren Anfang nimmt; oder der überhaupt zuerst die Zelle entdeckt hat, viele Jahre vor Schwann und Schleiden, die die Zelle 1838, dann aber naturwissenschaftlich einwandfrei, beschrieben haben.
Und er hat, wie Goethe, aber später als dieser und unabhängig von ihm die heute allerdings nur noch teilweise gültige Theorie aufgestellt, der Schädel der Wirbeltiere habe sich aus umgebildeten Wirbeln entwickelt. Okens nichtsahnende Erstveröffentlichung brachte ihm viel Ärger mit Goethe ein.

Warum also ist Oken heute so unbekannt? Vielleicht trifft der Philosoph Friedrich Engels mit seiner deftigen Sprache den Nagel auf den Kopf, wenn er einige Zeit nach Okens Tod grantelt:
"Bei Oken tritt der Unsinn hervor, der entstanden aus dem Dualismus zwischen Naturwissenschaft und Philosophie. Oken entdeckt auf dem Gedankenweg das Protoplasma und die Zelle, aber es fällt niemand ein, die Sache naturwissenschaftlich zu verfolgen - das Denken soll's leisten! Und als Protoplasma und Zelle entdeckt werden, ist Oken im allgemeinen Verschiß!"
Okens Bildband, mit dem er 1843 seine "Naturgeschichte für alle Stände" beendete, enthält etwa 170, meist farbige Tafeln, davon 21 über Vögel mit 195 Abbildungen. Eine Tafel ist hier abgebildet. Da viele wissenschaftliche und deutsche Vogelnamen aus Okens Zeit nicht mehr mit den heutigen übereinstimmen, habe ich die Tafeln bearbeitet und auf den modernen Stand gebracht. Ich habe diese Arbeit dann auf Okens Vogelband mit etwa 650 Arten ausgedehnt und fast alle Vögel "gefunden". Das Lesen in dem Vogelwerk wird dadurch, so hoffe ich, erleichtert und zu einem größeren Vergnügen.

Im nachfolgenden Verzeichnis über die auf der Tafel abgebildeten Vögel erscheinen zuerst die heute üblichen Namen, darunter die aus Okens Bildband.

1. Rubinkehlkolibri (Archilochus colubris)
Bei Oken: Gemeiner o. Rubin-Colibri (Trochilus colubris)

2. Erznektarvogel (Anthrepetes planturus)
Bei Oken: Blumensauger (Cinnyris metallica)

3. Zuckervogel (Coereba flaveola)
Bei Oken: Zuckervogel (Nectarinia Cyanea)

4. Iiwi: (Vestaria coccine)
Bei Oken: Ziervogel (Melithreptus vestiarius)

5. Schuppenkopf-Honigfresser (Foulehaio carunculata)
Bei Oken: Lappiger Pinselvogel (Philedon carunculatus)

6. Waldbaumläufer (Certhia familiaris)
Bei Oken: Gemeiner Baumläufer o. Grauspecht (Certhia familiaris)
7. Tropfenstrirnbaumsteiger (Xiphorhynchus guttatus)
Bei Oken: Baumpicker (Dendrocolaptes guttatus)

8. Mauerläufer (Trichodroma muraria)
Bei Oken: Gemeiner Mauerspecht (Trichodroma muraria)

9. Rosttöpfer (Furnarius rufus)
Bei Oken: Gemeiner Töpfervogel (Figukus albogularis)

10: Wiedehopf (Upupa epops)
Bei Oken: Wiedehopf (Upupa epops)

11. Kaphonigfresser (Promerops cafer)
Bei Oken: Schweifkopf (Upupa promerops)

12. Prachtparadiesvogel (Ptiloris magnificus)
Bei Oken: Krauser Kragenhof (Upupa magna; superba)


 
Zu den Bildtafeln ...
Wirbeltiere
Vögel
Insekten
Schwimmende Tiere

 

Zwei Titelblätter von Okens Hauptwerk "Allgemeine Naturgeschichte für alle Stände"

 


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