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Lorenz Okens Bohlsbacher Kindheit und Jugend

von Wolfgang M. Gall


Am 1. August 1779 erblickte Lorenz Okenfuß in Bohlsbach das Licht der Welt, damals ein Bauerndorf mit 531 Einwohnern. Die Bohlsbacher waren durchweg katholisch. Sie erhielten erst 1790 eine eigene Pfarrei. Das Dorf gehörte zur vorderösterreichischen Landvogtei Ortenau. Der kleine Lorenz wuchs in einer stürmischen Zeit auf. Im Alter von 10 Jahren erlebte er im August 1789, wie sich seine Nachbarn dem revolutionären Zug von mehreren Tausenden Ortenauer Bauern anschlossen. Sie zogen in die nahe freie Reichsstadt Offenburg, zum Sitz des Landvogtes, dem Königshof (heute Polizeidirektion). Dort forderten sie ihre verbrieften Rechte ein.

Der Zug der Bauern war nicht das einzige politische Ereignis, das Oken miterlebte. Vor allem während seiner Schulzeit auf dem Franziskaner-Gymnasium in Offenburg (1793 - 1798) kam es in der Ortenau zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen, die sog. Koalitionskriege. Als am 12. September 1793 die französischen Truppen mit der Beschießung der Stadt Kehl begannen, konnten die Bohlsbacher den Krieg einmal mehr mit eigenen Ohren hören. Zunächst blieb es beim Kanonendonner, dennoch geht aus den Bohlsbacher Kirchenbüchern hervor, dass mehrere französische Militärs 1794 an Fleckfieber (Typhus) starben. Im benachbarten Offenburg waren 1793 schwäbische Truppen im dortigen Gymnasium einquartiert, wo Lorenz Oken zur Schule ging. In den darauffolgenden Jahren fielen französische Truppen (Juni 1796, April 1797 und März 1799) über die Rheingrenze ein und besetzten die mittlere Ortenau.

Wer waren Okens Eltern? Über Vater Johann Adam berichten Erzählungen, dass er "ein kleines, lebhaftes, redefertiges Männchen von übrigens mehr als gewöhnlicher Einsicht" gewesen sei. Er soll außerdem eine Charaktereigenschaft besessen haben, "wie für sein ganzes Geschlecht üblich": ein hitziges Temperament. Der Bohlsbacher Pfarrer Ludwig Decker kannte eine "Sage alter Leute", wonach Okens Vater wusste, seine Mitbürger "durch Erzählungen aus der Vergangenheit, sowie mit Prophezeihungen der Zukunft, besonders über den Franzosenkrieg, das Schicksal des deutschen Kaiserreichs oft stundenlang zu unterhalten". Er soll vieles vorausgeahnt haben, sodass man die Leute oft behaupten hörte, "das hat schon Hans Adam gesagt".

Über Okens Mutter Anna Maria, geb. Fröhlich, die zweite Frau von Johann Adam Ockenfuß, wissen wir nur wenig. Sie soll eine "stille Frau" gewesen sein. Lorenz Oken verlor seine Mutter bereits im Alter von 13 Jahren. Als sein Vater starb, war er gerade 18 Jahre alt. Lorenz war das zweite von vier Geschwistern.

Schenken wir den Erinnerungen eines Mitschülers Glauben, müssen wir uns den Schüler Oken als eine Persönlichkeit "mit Scharfblick" vorstellen, der eine für sein Alter überdurchschnittliche Urteilsfähigkeit in tagespolitischen Dingen besessen haben soll. "Er war damals 14 Jahre alt, verrieth aber durch seinen Fleiß und Eifer, mit welchem er dem Studium oblag, daß aus ihm dereinst ein bedeutender Mann hervorgehen werde. Was er geworden, und was ihm die Welt zu verdanken hat, bedarf hier keiner weiteren Schilderung..."
Als Beweis steht folgende Anekdote: Als in der Klasse der den Sieg des englischen Admirals Nelson bei Trafalgar über die französische Flotte bejubelt wurde, sei Oken,
"der Jüngste und Kleinste aus "uns Allen" eher aufgebracht gewesen über die Törichtigkeit seiner Mitschüler. Er erklärte ihnen: Seid ihr denn alle so verschraubt, daß ihr nicht tiefer in die Politik Englands zu blicken im Stande seid? Sehet ihr nicht ein, daß die Engländer nichts Anderes als eine engherzige Krämer-Nation ist, die Alles nach der Elle abmißt, und ihre Waffen nur insolange ergreift, als sie Nutzen und Gewinn in Aussicht hat; solche aber sogleich aus den Händen fallen läßt, wenn sie entdeckt, einer anderen Nation zum Vortheil ihre Waffen ergriffen zu haben."
Lorenz Oken hatte das Glück, auf fähige Lehrer zu stoßen. Ein anderer Schulkamerad berichtet, dass er fast täglich im Pfarrhaus ein- und ausgegangen sei. Er sei "gewiss ein fleißiger Schüler gewesen; schon in der Vorbereitungsschule ein Muster jugendlicher Anstrengung (...) Oft fehlte ihm das nöthige Schreibpapier sogar." Okens Förderer waren der Bohlsbacher Lehrer Josef Anton Herr und die beiden Pfarrer Johann Georg Schwendemann und Anton Kohmann. Im Jahr 1793 besuchte Oken das Franziskaner-Gymnasium in Offenburg, wo er bis Herbst 1798 verblieb. In allen Noten bezeichnet man seine Anlagen als vorzüglich (ingenium felix).
"Der kleine Okenfuß war mit seinem Geiste begabt der ihn über alle Mitschüler erhob, so daß er in kurzer Zeit erkennen ließ, daß aus ihm etwas Bedeutendes werden würde. Seine Sprache war beim ersten Auftreten nicht die eines Dorfknaben, sie war scharf, bestimmt, klar."

Oken war vermutlich ein strebsamer Einzelgänger, der sich in die Schulaufgaben stürzte. Er hatte es sicherlich nicht einfach. Ein Bauernjunge, der aufs Gymnasium ging, war vor 200 Jahren schon eine Ausnahmeerscheinung. Dass er auch noch eine akademische Karriere einschlug, grenzte gar an ein Wunder.
Wie gut sich eine solche Lebensgeschichte bei der Erziehung der kleinen Bohlsbacher Buben und Mädchen pädagogisch einsetzen lässt, erkannte Pfarrer Ludwig Decker wohl schnell:
"Uns Eingeborenen von Bohlsbach ist aber wichtig genug, daß dieser weitberühmte Mann in unserm geringen Dorfe geboren. Dort in jenem kleinen Häuschen, zunächst dem Schulhause,(...), dort hat sein großer Geist den Ursprung genommen, dort hat er anfangen zu denken, angefangen die Welt anzuschauen und zu bewundern(...) Und ich meine, jeder Schulknabe, der dort vorübergeht bei jedem Schulbesuche, sollte daran denken, wie weit es auch ein armer Bauernknabe bringen könne, der in der Schule fleißig lernt..."

 

Bilder von Okens Geburtshaus ...

 


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