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Oken und Auswanderung

Ansprache von Ronald Okenfuß vom 16. Juni 2000 in Bohlsbach zum Thema "Auswanderung"


Guten Abend, meine Damen und Herren und, wer weiß, Verwandten.

Ich möchte mich recht herzlich bedanken für die Möglichkeit, hier heute Abend mit Ihnen zu sein. Besonders danke ich Ulrich Burgert und Viktor Schreiner für die Einladung, über die Auswanderung der Okenfuss-Familie und die Rolle Lorenz Okens zu reden.

Wir haben auch Lorenz Oken zu danken, denn ohne ihn wären wir heute abend nicht hier.
Was hat Lorenz Oken mit der Auswanderung von meinem Verwandten Max Okenfuss zu tun? Und was hat er zu tun mit meinem Erscheinen heute abend bei Ihnen? Das werde ich gleich erzählen.

Ich möchte Ihnen ein bisschen über mich selbst und über Lorenz Oken erzählen. Aus der Okenfuss Familiengeschichte wußten wir, dass unser Vorfahre - Max Okenfuss aus Bohlsbach 1845 mit dem Schiff Monument nach Ste. Genevieve ausgewandert ist. Meine Mutter und mein Vater haben in den 80er Jahren sogar Bohlsbach und Offenburg besucht und Mikrofilme der Kirchenbücher kopiert. Daraus haben wir schließen können, dass Max Okenfuss zuerst als uneheliches Kind eingetragen war und erst nach der Hochzeit seiner Eltern als eheliches Kind anerkannt wurde. Was wir aber nicht erklären konnten, war seine Geburt in Jena. Zu der Zeit war diese eine ungeklärte Sache.

Meine Eltern haben bei dem Besuch natürlich auch etwas über Lorenz Oken erfahren. Wir haben sogar ein Buch der Universität Zürich bekommen - und natürlich haben wir gefragt, ob wir mit dem berühmten Oken verwandt seien.
1987-88 studierte ich an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Eines Tages bin ich in die Universitätsbibliothek gegangen, um etwas von Lorenz Oken zu lesen. Ich habe in den Katalog geschaut und habe etwa 12 Karten mit Büchern von Lorenz Oken gefunden. Damals durfte man die Bücher nicht selber holen, sondern man gab die Bestellzettel ab und kam ein paar Tage später, um die Bücher im Lesesaal zu lesen.

Als ich zwei Tage später meine 8 Bücher abholen wollte, hat der Bibliothekar mich zu einem Sonderschalter geschickt. Nach einigen Minuten hat der sehr unfreundliche Bibliothekar mir einen Wagen voller Bücher gebracht. Hier waren zweimal die Okensche Naturgeschichte - alle dreizehn Bände, seine Naturphilosophie - beide Auflagen - alle drei Bände und sämtliche kleinere Schriften Okens. Genug um ein ganzes Studium daraus zu machen.

Als ich wieder in den USA war, habe ich mich noch ein bisschen mit Lorenz Oken beschäftigt und wollte sein Lebenswerk weiter verfolgen. Ich habe das große Glück gehabt, 1990 ein Forschungsstipendium zu bekommen, um Lorenz Okens Werk an der Universität Zürich zu studieren. Nach einem halben Jahr habe ich entdeckt, dass der Okennachlass tatsächlich in Freiburg i.B. an der Albert-Ludwigs-Universität im Geologenarchiv liegt. Also war ich noch nicht am richtigen Ort. Ich habe aber sämtliche Schriften von und über Lorenz Oken in Zürich gelesen und studiert.

Aber eines Tages hat der Nachlass in Freiburg mich doch so sehr interessiert, dass ich an einem Freitagmorgen mit dem Zug nach Freiburg gefahren bin. Jeder, der deutsche Universitäten kennt, weiß, daß am Freitag nichts los ist, aber als ich zum dritten Mal an der Tür der medizinhistorischen Fakultät klingelte, ging die Tür plötzlich auf. Als ich durch die Tür ging, befand ich mich in einer dunklen Fakultätsbibliothek. Von ganz hinten kamen Licht und eine Stimme. Ich bin hingegangen und habe einen älteren Professor hinter seinem Schreibtisch gefunden. Ich habe mich vorgestellt " Guten Tag, ich heiße Ronald Okenfuss und ..." Der Professor sprang auf und unterbrach mich "Wissen Sie, Sie haben einen wichtigen Namen für diese Universität?" - "Ja, darum bin ich heute hierher gekommen." Der Professor stellte sich vor und erklärte mir, dass er nur zufällig da sei, da seine Tochter an dem Tag heiraten werde und dass er gleich wieder weg müsse. "Ich muss noch ein paar Dinge erledigen, aber schauen Sie sich bitte das hier an. Ich habe diese Mappe von Professor Max Pfannenstiel bekommen. Er hat sich mit Lorenz Oken beschäftigt. Schauen Sie rein, Herr Okenfuss, und wir arrangieren, dass Sie später kommen, wenn ich mehr Zeit habe." Ich habe durch den Inhalt geschaut und gemerkt, es gibt Transkribierungen von Oken an seine Familie in Bohlsbach darin. Mit Spannung habe ich die Transkribierungen gefunden.

In seinem Büro habe ich auf einer DIN A4 Seite folgenden Brief Lorenz Okens an seinen Bruder Matthias gelesen:

Jena, 5. August 1820

Lieber Bruder!

Ich konnte nun das arme Kind Deines Sohnes nicht mehr Nothleiden und seine Mutter jammern sehen; daher schicke ich die Dir beyde zu, mit dem Wunsch, Du möchtest die Sache zum Besten schlichten, und Deinen Sohn mit seinem Kinde und dessen Mutter aussöhnen. Ich will dann sehen, dass er sich irgendwo als Meister einkaufen kann; und wenn es irgend möglich ist, werde ich den jungen Leuten selbst 500 fl. Geben, wenn soviel erforderlich seyn sollte: doch dieses kann nur nach und nach geschehen.

Die Mutter von Marcells Kind überbringt Dir zugleich eine Anweisung auf 50fl., welche unsere Schwester bei Herrn Kapferer in Empfang nehmen soll.
Ich hoffe, dass auf diese Art Friede in euer Haus komme, und dass ihr vergnügt mir alles berichten möget. Ich habe wohl nicht nöthig, euch zu ersuchen, dass Ihr die Person freundlich empfangen möget, dass Ihr euch des armen Kindes erbarmen möget, und überhaupt Euch so betraget, wie man es vor Gott und den Menschen verantworten kann, und wodurch man sich Ehre und den Frieden des Gewissen erwirbt. Ich hoffe auch, wenn Marcell seinen Sohn und dessen Mutter sieht, dass er gerührt werde, und sehen wird, alle die Noth wieder gut zu machen, welche er seinem Kind und dessen Mutter gemacht hat.

Dein Bruder und Euer Schwager

L.

Plötzlich kam vieles zusammen. Als Lorenz Oken in Jena unterrichtete, hat Marcell ihn besucht und eine Frau wurde von ihm schwanger. Lorenz Oken hat für das Kind und die Mutter gesorgt - das Kind war Max Okenfuss und mein direkter Vorfahre. Sein Wort haltend hat Lorenz Oken Geld an die Familie in Bohlsbach geschickt. Und höchst wahrscheinlich ist Max Okenfuss im Jahre 1845 mit Geld von Lorenz Oken nach Ste. Genevieve Missouri ausgewandert - wie von Lorenz Oken versprochen.

Max war aber nicht allein auf der Reise. Wenn man auf das Schiffsregister schaut, sieht es aus wie das Telefonbuch von Bohlsbach. Kein Zufall, denn Lorenz Oken hatte wahrscheinlich auch in diesem Fall etwas damit zu tun. Lorenz Oken hat einen Briefwechsel mit dem Naturwissenschaftler Prinz Max von Neuwied, der in einem Reisebericht Lorenz Oken über Ste. Genevieve County und dessen berühmte Salzquelle, den "Saline" Bach berichtete. Es kann sein, dass Lorenz Oken die Bohlsbacher darauf aufmerksam machte, dass man ein gutes Leben in Ste. Genevieve führen konnte.
Heute kann man immer noch die Telefonbücher in Bohlsbach und Ste. Genevieve vergleichen - beide sehen beinah identisch aus.

Also wir haben Lorenz Oken viel zu danken. Er ist dafür verantwortlich, dass mein Verwandter Max in die USA auswandern konnte. Er ist dafür verantwortlich, dass ich bei Ihnen sein konnte und er ist dafür verantwortlich, dass Sie trotz der EM-Spiele heute abend gekommen sind. Und für Ihre Geduld mit meinem komischen Deutsch bin ich sehr dankbar.
 
Maximilian Okenfuß (1817 – 1881).
Stammvater aller Ockenfuß in Amerika

 


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